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Sexueller Missbrauch geschieht nicht im Affekt

Kerstin Claus wurde im März 2022 für fünf Jahre in das Amt der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) berufen. Die Journalistin berät bereits seit 2015 Politik und Institutionen zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Sie beschäftigt sich dabei besonders mit der Frage, welche Strukturen in Politik und Gesellschaft nötig sind, um Kindesmissbrauch zu erkennen, sein Ausmaß zu begreifen und ihm wirksam zu begegnen.

Die Polizeiliche Ermittlungsarbeit führte gerade in der letzten Zeit zur Offenlegung immer größerer Missbrauchsnetzwerke. Wie kann man solche Taten eindämmen, erschweren, verhindern, aufdecken?

Wir brauchen ein grundsätzliches Verständnis für die spezifischen Aspekte sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Das ist keine Gewalt, die impulsiv geschieht, die aus Überforderung passiert, wie oft bei Misshandlung oder Vernachlässigung, sondern sie ist sehr strategisch angebahnt. Und hier zeigt die Erfahrung, wie schwierig es sein kann, jemanden als Täter wahrzunehmen: Es kann eine Person sein, die mir vollkommen normal begegnet, vielleicht ein hohes gesellschaftliches Ansehen besitzt und mit einer hohen kommunikativen Kompetenz ausgestattet ist. Es ist für diese Tätergruppe einfach, immer wieder ein Bild zu erzeugen, das es dem Gegenüber schwer macht, sich vorzustellen, dass der andere ein Täter sein kann. Das heißt, wir müssen uns auch bei den Ermittlungsbehörden noch mal deutlich klarer machen, wie strategisch sexuelle Gewalt angebahnt wird, wie systematisch das Umfeld bearbeitet und manipuliert wird, damit eine Tat nicht aufgedeckt wird. Und das verändert wahrscheinlich den Blick auch bei Anzeigen auf Verdächtige grundsätzlich. Man muss es für möglich halten, dass auch Personen aus dem eigenen Umfeld sexuelle Gewalt ausüben können, um sagen zu können: Okay, diese Person muss nicht schuldig sein, aber wenn sie schuldig wäre, welche Strategien würde sie anwenden, um genau das zu verbergen? Ich glaube, hier braucht es ein größeres grundlegendes Wissen um diese strategische Dimension von sexueller Gewalt. In Hinblick auf die Ermittlungsbehörden sieht man am Beispiel von Nordrhein-Westfalen sehr gut, was erreicht werden kann, wenn Ressourcen aufgebaut und Spezialeinheiten gebildet werden. Hier müssen, glaube ich, andere Bundesländer nachlegen, was die Ausstattung und die Ressourcen angeht – sowohl personell, aber auch in der Technik –, damit wir flächendeckend Taten so früh wie möglich aufdecken. Denn das muss ja das Ziel sein, Kinder aus diesen Gewaltformen zu befreien, die sie hier und jetzt erleben.

Was bringen angesichts dieser Missbrauchsnetzwerke Strafverschärfungen oder intensivere Ermittlungen, auch unter Zuhilfenahme der Vorratsdatenspeicherung bei Providern?

In Nordrhein-Westfalen hat man gesehen, was ein Ressourcenaufbau bringt und wie viel ermittelt werden konnte. Es wurde darauf fokussiert, an die Täternetzwerke und ihre Knotenpunkte zu kommen, um dann strahlenförmig möglichst effizient zu ermitteln. Da haben wir wahrscheinlich auch noch ungenutzte Möglichkeiten, die wir in den Blick nehmen müssen. Dabei ist es mir ein großes Anliegen, festzuhalten, dass wir den Blickwinkel nicht auf Vorratsdatenspeicherung als einzige Option reduzieren dürfen. Ich gehe davon aus, dass wir im Internet deutlich mehr Möglichkeiten haben, als wir bisher nutzen, auch jenseits der Vorratsdatenspeicherung. Und hier komme ich wieder zum Bereich Kinder- und Jugendschutz: Welche Leitplanken setzen wir für Kinder und Jugendliche, um ihnen im Netz eine sicherere Welt bereitzustellen? Und da müssen wir auch mit klaren Vorgaben von Seiten der Politik gegenüber den Providern in einen konstruktiven Austausch gehen.

TE (24.06.2022)

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