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„Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik“

Sind die von deutschen Gerichten verhängten Strafen für jugendliche Täter zu mild? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Michael Günter. Er ist Kinder- und Jugendpsychiater und Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Günter arbeitet als Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum Tübingen und beschäftigt sich seit über 20 Jahren intensiv mit forensischen Fragen.

 

Waren Jugendliche früher denn nicht so gewalttätig wie heute?

Das würde ich so nicht sagen. Wenn man heute höhere Straftatzahlen bei Jugendlichen registriert, dann kommt das nicht zum kleinsten Teil durch die Aufhellung des Dunkelfeldes zustande. Schulhofschlägereien müssen heute angezeigt werden. Damit befassen sich dann alle bis zum Staatsanwalt und zum Jugendschöffengericht. Früher geschah das nicht. Andererseits gibt es wohl schon in bestimmten Bereichen der Gewaltstraftaten eine gewisse Zunahme jugendlicher Täter, was vor allem mit gesellschaftlichen und familiären Veränderungen und der daraus resultierenden Belastung zu tun hat. 

Außerdem gibt es das Phänomen der Migrationswellen: Bei neu nach Deutschland eingewanderten Gruppen stellen wir in den ersten Jahren eine erhöhte Kriminalität unter Jugendlichen fest. Aber nach zwanzig Jahren ist das alles wieder auf das Normalmaß der Kriminalität in der übrigen Bevölkerung gesunken. 

Bringt es dann eigentlich etwas, Jugendliche in den Strafvollzug zu stecken?

Der Richter muss abwägen: Es gibt Situationen, in denen eine Haftstrafe die "Ultima Ratio" ist. Man muss auch den bei schweren Gewaltstraftaten verständlichen Wunsch nach Rache und Sühne, der die Bevölkerung beherrscht und von den Medien ausgeschlachtet wird, ernst nehmen und in rechtstaatliche Bahnen kanalisieren. Sonst haben wir am Ende Lynchjustiz. Aber die Richter stehen bei jedem Fall vor einem Dilemma, denn Resozialisierung bietet mittelfristig auch mehr Sicherheit als wegsperren. 

Stimmt es denn, dass Richter Jugendlichen gegenüber generell zu mild urteilen?

Der Generalverdacht, das Jugendstrafrecht sei milder als das Erwachsenenstrafrecht, stimmt so nicht. Im mittleren Strafsegment werden unter Umständen aus erzieherischen Gründen auch mal längere Strafen angeordnet, wo ein Erwachsener vielleicht mit weniger davongekommen wäre. Die dahinter stehende Vorstellung ist dann: Bei einer kürzeren Strafe haben wir keine Chance auf einen Erziehungsprozess beim Jugendlichen.

Viele sehen aber eine Grenze überschritten, wenn ein Jugendlicher einen Menschen umgebracht hat.

Selbstverständlich ist da eine Grenze überschritten. Dennoch müssen wir besonnen in Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen überlegen, welche Sanktionen wir für angemessen und auch im Sinne des Schutzes der Allgemeinheit für zielführend halten. Erst vor Kurzem war das Gericht bei einem Mordprozess, in dem ich den 19-jährigen Haupttäter zu begutachten hatte, mit der Tatsache konfrontiert, dass 15.000 Unterschriften gesammelt worden waren. Die Unterzeichner forderten, dass die Täter nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, was eine lebenslange Freiheitsstrafe ermöglicht hätte. 

Ich plädiere aber ganz allgemein dafür, Jugendliche generell dem Jugendgerichtsgesetz zu unterwerfen. Alles andere ist weder mit den vorhandenen entwicklungspsychologischen Forschungsergebnissen noch mit Gleichbehandlungsgrundsätzen vereinbar.

Was halten Sie generell von unserem Jugendstrafrecht?

Als Fachmann sage ich: Unser Jugendstrafrecht ist eines der besten weltweit. Denn es schützt die Bevölkerung und schafft Perspektiven für die jugendlichen Täter. Es ist vielfach belegt, dass härtere Strafandrohungen, wie sie immer wieder gefordert werden, nicht abschrecken. Das leisten nur ein schnellerer Zugriff und die höhere Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden.

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