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Chillen statt Tanzen – Schmerzmittel statt Speed

Das Konsumverhalten bei Drogen ändert sich und ist auch aktuellen Moden unterworfen. Dr. Roman Zakhalev, Oberarzt für Abhängigkeitserkrankungen im Wahrendorff Klinikum Köthenwald, beschreibt im Interview mit PolizeiDeinPartner.de einen veränderten Drogenkonsum besonders bei jungen Erwachsenen.

Veränderter Drogenkonsum bei jungen Menschen


Jugendliche greifen vermehrt zu beruhigenden Drogen

© Syda Productions / stock.adobe.com

 

Das Konsumverhalten bei Drogen ändert sich und ist auch aktuellen Moden unterworfen. Dr. Roman Zakhalev, Oberarzt für Abhängigkeitserkrankungen im Wahrendorff Klinikum Köthenwald, beschreibt im Interview mit PolizeiDeinPartner.de einen veränderten Drogenkonsum besonders bei jungen Erwachsenen.

Dr Zakhalev, können Sie kurz darstellen, wie sich der Drogenkonsum bei jungen Menschen in den letzten Jahren verändert hat?

Wir behandeln zunehmend junge Menschen im Warendorff Klinikum, die Schmerzmittel wie Oxycodon oder Tilidin missbräuchlich nutzen, um Entspannung zu finden. Diese sogenannten Opioid-Analgetika werden von Ärzten eigentlich bei starken Schmerzen verschrieben, etwa bei Tumorpatienten. Die jungen Leute, die zu uns zum Entzug kommen, besorgen sich die Mittel in der Regel auf dem Schwarzmarkt, meist über das Internet. Das ist eine Veränderung in Hinblick auf die Jahre zwischen 2000 und 2010, in denen die jungen Erwachsenen vor allem leistungssteigernde und aufputschende Drogen wie Amphetamine und Kokain konsumierten. Mittlerweile haben wir über 20 Patienten auf Station pro Jahr. Früher waren opioidabhängige junge Patienten eine Seltenheit. Die meisten Drogenabhängigen, die Kontakt zu einem Suchthilfesystem suchen, sind weiterhin zum überwiegenden Teil heroinabhängige Menschen mittleren Alters.

Was sind die Gründe für das sich verändernde Konsumverhalten?

Das ist eine gute Frage. Viele Experten und auch ich vertreten die Meinung, dass es einen Zusammenhang mit den Lockdowns der Corona-Zeit gibt. Damals waren die Clubs und Discos geschlossen. Die Menschen hatten weniger soziale Kontakte und weniger Beschäftigung. Das hat die Dynamik verändert und ein Bedürfnis nach Entspannung und Abschalten geschaffen. Vor etwa 20 Jahren hatten wir durch die Technoszene vor allem mit Klienten zu tun, die aufputschende Stimulanzien und Cannabis konsumierten. Jetzt wird beispielsweise in Teilen der deutschen Rapp-Szene die Einnahme von Beruhigungsmitteln propagiert. Über die sozialen Medien wird ein vermeintlich positives Image verbreitet und diese Meinung erzielt eine große Reichweite. Drogenkonsum hat also auch immer etwas mit bestimmten Moden und Strömungen in bestimmten Gruppen zu tun. Vor etwa 15 Jahren war beispielsweise Tilidin bei den militanten Ultras in der Fußballfanszene sehr beliebt. Sie haben sich damit betäubt, um weniger schmerzempfindlich zu sein, wenn sie sich mit anderen Hooligans oder der Polizei geprügelt haben.

Dr. Roman Zakhalev, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

© Wahrendorff

Was macht diese Opioid-Schmerzmittel so gefährlich und unterscheidet sie von den anderen Drogen?

Alle Opioide wirken beruhigend, sedieren und vermitteln auch ein gewisses Glücksgefühl. Gefährlich wird es, wenn die Dosis immer weiter erhöht werden muss und eine körperliche Abhängigkeit entsteht. Die Folgen können dann zum Bespiel sein, dass soziale Aktivitäten vernachlässigt werden, dass eine Berufstätigkeit nicht mehr fortgesetzt werden kann oder eine Ausbildung gar nicht mehr möglich ist. Schüler, Auszubildende oder Studenten berauben sich so ihrer Zukunft. Dazu kommt, dass die Konsumenten meist auch andere Drogen oder Medikamente nehmen. Neben den Opioiden können das etwa Benzodiazepine sein, die angstlösend und entspannend wirken. Das führt zu einem gefährlichen Mischkonsum. In Deutschland nehmen rund 1,9 Millionen Menschen täglich Schmerzmittel ein. In den vergangenen zehn Jahren hat sich bei uns die Zahl aller Opioid‐Verschreibungen verdoppelt, die Zahl kurzwirksamer Fentanyl‐Präparate sogar vervierfacht. Nur ein Drittel der Verordnungen entfallen auf Tumorpatienten. Noch ist die Situation nicht wie in Amerika. Doch auch für Deutschland sehe ich die Entwicklung mit Sorge. Etwa, dass die Menschen, die jetzt regelmäßig Schmerzmittel einnehmen, eine körperliche Abhängigkeit entwickeln und nach einer Dosissteigerung verlangen. Das kann zu einem Umstieg auf Oxycodon führen, denn dieses Mittel ist potenter und wirkt länger. Auch der Missbrauch von Fentanyl nimmt zu. Das kann bei mehrwöchiger Einnahme zu körperlicher Abhängigkeit führen. Das Fentanyl stammt sowohl aus legaler pharmazeutischer als auch illegaler Produktion. Schmerzpflaster werden gelutscht und ausgekocht, um den konzentrierten Wirkstoff zu gewinnen, Pillen werden zerstoßen und dann geschnupft. Und da der Wirkstoff bei den Drogenkonsumenten nicht wie eigentlich in der Schmerztherapie vorgesehen nach und nach abgegeben wird, sondern sofort wirkt, kann es auch zu einer Überdosis kommen. Richtig gefährlich wird es, wenn die Substanz dann plötzlich abgesetzt wird.

Hat der veränderte Drogenkonsum Auswirkungen auf Ihre Behandlungsstrategie?

Bei uns im Wahrendorff Klinikum erfolgt die Entgiftung im Lauf von drei bis vier Wochen. Das ist ein sogenannter „warmer Entzug“, das heißt, das langsame Ausschleichen der Drogen wird mit Medikamenten unterstützt. Gerade bei den missbräuchlich eingenommenen Schmerz- und Beruhigungsmitteln entsteht eine körperliche Abhängigkeit. Das ist der Unterschied zu den aufputschenden Drogen, die eher eine psychische Abhängigkeit erzeugen. Für die Betroffenen macht das Loskommen von diesen Mitteln in jedem Fall zu einem harten Prozess. Man fühlt sich nicht sehr wohl dabei. Ist die Entgiftung bei uns abgeschlossen, kann sich dann eine hoffentlich nachhaltige Suchttherapie anschließen.

Was empfehlen Sie für die Prävention?

Dr. Roman Zakhalev, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, arbeitet seit 1990 im Wahrendorff Klinikum, Fachkrankenhaus für die Seele. Seit 2006 ist er Oberarzt in der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen.

Drogenabhängige und der Umgang mit dem Thema werden nach wie vor stigmatisiert. Man spricht nicht darüber. Die meisten werden die Unterschiede zwischen aufputschenden und beruhigenden Drogen wie Ecstasy oder Tilidin nicht kennen. Damit erkennen Eltern, Lehrer oder Ausbilder häufig auch nicht frühzeitig die Anzeichen, die einen Drogenmissbrauch bei den Betroffenen annehmen lassen. Eine bessere Aufklärung der Eltern sowie in der Schule und in den Ausbildungsabteilungen von großen Firmen zu dem Missbrauch von Schmerz- und Beruhigungsmitteln wäre daher sinnvoll. Nur so können Menschen aus ihrem Umfeld die Signale einer Abhängigkeit der Jugendlichen rechtzeitig erkennen und sie in eine Suchtberatung vermitteln.

(TE, 28.06.2024)