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Gefährdung durch den Islamismus steigt weiter an

Laut dem gerade erschienen Verfassungsschutzbericht 2023 ist im letzten Jahr die Gefährdung der Sicherheit in Deutschland durch den islamistischen Terrorismus nochmals größer geworden. Dabei wirkt sich das Geschehen im Ausland, etwa der israelisch-palästinensische Konflikt, konkret auf die Entwicklung des Islamismus in Deutschland aus. Man schätzt, dass etwa 27.200 Personen in Deutschland mit dem Islamismus sympathisieren. Die größte Gefahr geht laut dem Bericht dabei von Kleinstgruppen und Einzeltätern aus.

Interview mit Sven Hüber, stv. Bundesvorsitzender der GdP


Der Islamismus stellt eine wachsende Gefahr dar

© nik0.0kin / stock.adobe.com

 

Laut dem gerade erschienen Verfassungsschutzbericht 2023 ist im letzten Jahr die Gefährdung der Sicherheit in Deutschland durch den islamistischen Terrorismus nochmals größer geworden. Dabei wirkt sich das Geschehen im Ausland, etwa der israelisch-palästinensische Konflikt, konkret auf die Entwicklung des Islamismus in Deutschland aus. Man schätzt, dass etwa 27.200 Personen in Deutschland mit dem Islamismus sympathisieren. Die größte Gefahr geht laut dem Bericht dabei von Kleinstgruppen und Einzeltätern aus.

Für die Polizei stellen diese Extremisten eine große Herausforderung dar, da sie ihre Taten mit einem geringen Organisations-, Netzwerk- und Kommunikationsaufwand planen. Die Täter im Vorfeld zu enttarnen, ist deshalb nur sehr schwer möglich. „Doch auch koordinierte, komplexe, langfristig geplante Anschläge bleiben in Deutschland jederzeit denkbar“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in Berlin. Vor allem beim sogenannten Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISPK) mehrten sich die Anhaltspunkte dafür, dass Europa und damit auch Deutschland als Anschlagsziele in Betracht gezogen werden könnten.

PdP.de hat mit Sven Hüber, dem Stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), darüber gesprochen, welche Herausforderungen sich hier für die Polizeikräfte ergeben.

Wie bewerten Sie das Risiko terroristischer Anschläge mit islamistischem Hintergrund?

Die Polizeien sowohl von Bund als auch aus den Ländern gehen von einer abstrakten Gefahr aus. Das heißt, es gibt gegenwärtig keine ganz konkreten Sachverhalte, die islamistische Anschläge befürchten lassen. Das schließt aber eben nicht aus, wie wir leider erfahren mussten, dass es solche Anschläge insbesondere von Einzeltätern auch in Deutschland geben kann. Und wir haben gesehen, auch in unseren Nachbarländern, in Belgien und Frankreich, wie schnell sich solche Gruppen manchmal auch aufmachen und völlig unvermittelt zuschlagen können. Und dieses Risiko besteht eben auch in Deutschland.

Ist das Risiko für einen Anschlag in der letzten Zeit gestiegen?

Sven Hüber, stv. Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei

© GdP

Insgesamt gehen wir davon aus, dass in der Szene des politischen Islamismus, auch im Zusammenhang natürlich mit der Eskalation des Nahostkonflikts und dem Überfall der Hamas auf Israel, die Stimmungslage insgesamt aggressiver geworden und damit auch die subjektive Bereitschaft zur Radikalisierung gestiegen ist.

Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Polizei?

Für die Polizeien von Bund und Ländern stellt gerade der Typus des Einzeltäters, der sich über das Internet radikalisiert hat, eine große Herausforderung dar. Wir haben bei den letzten Tätern gesehen, dass es gar keine Vorfeldbeobachtungen von diesen Personen gab. Es fehlten die Hinweise, die darauf hingedeutet hätten, dass jemand bereit ist, gewalttätig zu sein. Die Polizei muss deshalb versuchen, rechtzeitig solche Planungen durch die Kontrolle von Socialmedia-Bereichen, von Chatverläufen etc. zu erfassen und aufzuklären. Das ist natürlich keine leichte Aufgabe. Doch im Prinzip können wir das, allerdings nur, wenn wir personell und technisch dazu in die Lage versetzt werden. Dazu gehört auch ein rechtlicher Befugnisrahmen, der uns eine engmaschige Überwachung von Aktivitäten im Internet erlaubt. Denn das Internet ist der wichtigste Aktionsraum bei der Radikalisierung und bei der Gewinnung von tatbereiten Menschen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Polizeien hier gut aufgestellt sind.

Welche Rolle spielt das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum bei der Bekämpfung des radikalisierten Islamismus?

Die zentrale Aufgabe des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums, beispielsweise beim Bundeskriminalamt in Berlin, ist einfach ausgedrückt das Sammeln und Austauschen von Informationen. Viele Terrorismusexperten, die Erfahrung darin haben, terroristischen Aktivitäten bereits während der Planung zu stoppen, sagen, eine Information, die nicht weitergegeben wird, ist sinnlos. Hier ist das Zusammenspiel von verschiedenen Sicherheitsbehörden ganz besonders wichtig. In Deutschland haben wir ja ein mehrstufiges Sicherheitssystem: Es gibt Polizeien auf Bundesebene, Polizeien auf Landesebene und das Bundeskriminalamt als zentrale Informationssammelstelle. Dazu kommen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die entsprechenden Landesämter. Sie haben unterschiedliche Informationsquellen und nutzen ihre jeweils eigenen Informationstechniken. Deshalb ist es wichtig, die Informationen miteinander zu verknüpfen, damit zwar jeder seine Aufgaben erledigen kann, aber am Ende auch alle anderen über die Ergebnisse informiert sind. Das ist der Sinn von den Terrorabwehrzentren und die Erfahrungen sind bisher gut. Das muss man sagen. Man kann damit natürlich nicht 100 Prozent der Terroranschläge unterbinden. Aber die Erfolge, die auch schon durch den Generalbundesanwalt gewürdigt wurden, lassen schon die Berechtigung von solchen gemeinsamen Zentren im guten Licht erscheinen. So wurden beispielsweise beim GTAZ in einem Fall verschiedene Informationen wie in einem Puzzlespiel zu einem Ganzen zusammengesetzt, so dass das Bundeskriminalamt schließlich Tatverdächtige festnehmen konnte, die sich zum Bombenbau verabredet hatten.

Wo sehen Sie noch Defizite in der Polizeiarbeit? Und was kann man dagegen tun?

Wir, die Gewerkschaft der Polizei, werben dafür, dass unsere Kolleginnen und Kollegen besser zum politischen Islamismus geschult werden. Hier sollte profundes Wissen vermittelt werden, damit im Alltag die nötige Sensibilität und Aufmerksamkeit vorhanden sind. Es beginnt beim Unterschied zwischen Islam und Islamismus? Dazu kommt die viel diskutierte Frage, ob der Islamismus nicht ein neuzeitliches importiertes Problem ist – ausgelöst mit der muslimischen Zuwanderung in unser Land. Hier muss man klarstellen, der politische Islamismus ist viel, viel älter, er stammt ja aus dem Ägypten der 1920er Jahre und zielte vor allem darauf ab, Muslime aus der Moderne zurück ins ideologische Mittelalter in ein Joch zu zwängen. Man darf nie vergessen, dass der Islamismus sich insbesondere auch als Bedrohung für Muslime in unserem Land darstellt. Und das ist mir eigentlich noch mal wichtig zu sagen, denn wir sind und bleiben ein Land der Religionsfreiheit. Das garantiert unsere Verfassung für jede Religion und wir bekämpfen auf der anderen Seite energisch politischen Islamismus, weil der eben als gewalttätige politische Ideologie herkommt. Tatsächlich gibt es viel mehr tote Muslime, die Opfer von Islamisten geworden sind als Ungläubige, Christen oder Europäer. Gleichwohl ist es natürlich so, dass sich solche Anschläge wie auf dem Berliner Breitscheidplatz und anderswo auch gegen westliche Staaten und eben auch gegen Institutionen in Deutschland richten. Die Bedrohungslage ist aber in der Tat ganz speziell auch für muslimische Bürgerinnen und Bürger gegeben Die Islamisten nehmen da keine Rücksicht.

Braucht die Polizei mehr rechtliche Befugnisse, um ihre Arbeit verbessern zu können?

Es ist die alte Diskussion in Deutschland über die Grenzen des Datenschutzes oder ob nicht durch die Polizeiarbeit Bürgerrechte eingeschränkt würden. Hier sagen wir ganz klar, wir brauchen unbedingt eine Vorratsdatenspeicherung, um eben diese Erkenntnisquellen nicht zu verschließen. Was nutzt denn eine datenschutzrechtlich tausendprozentig aufgestellte Behörde, die aber blind und taub ist? Und da liegt, glaube ich, das größte Defizit, dass wir gegenwärtig nicht umfassend in der Lage sind, rechtzeitig Täterstrukturen aufzuklären, weil uns der Datenzugriff bei den Telekommunikationsanbietern und Telemediendienstleistern fehlt. Auch der zweite Aspekt ist eine bekannte Forderung der GdP: Wir wissen, dass die Anwerbung von Tätern, dass deren Anleitung und die ideologische Radikalisierung, also das Wecken von Tatbereitschaft, insbesondere im Internet und zum Teil im Darknet stattfindet. Hier muss die Polizei noch deutlich besser aufgestellt werden, sowohl im IT-Bereich als auch insgesamt im personellen Bereich. Nur so können wir präventiv Straftaten verhindern, etwa wenn wir in Socialmedia-Kanälen rechtzeitig Kenntnis bekommen von Menschen, die bereit sind, in Deutschland Anschläge zu begehen, ob als Gruppe oder als Einzelperson.

TE (28.06.2024)

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