„Freizeitdroge“ Cannabis
Risiken minimieren, Resilienz fördern
Aufgrund der genannten gesundheitsschädigenden Folgen raten zahlreiche Kinder- und Jugendärzte von einer Legalisierung von Cannabis ab. Nach Ansicht von Matthias Brockstedt, Facharzt für Pädiatrie und Beauftragter Sucht des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin (bvkj) e. V., ist die Diskussion um eine mögliche Legalisierung jedoch kein Thema der Medizin, sondern vielmehr der Juristen und polizeilichen Aufsichtsbehörden: „Die Kinder- und Jugendmedizin kann und sollte eher über die modernen Ansätze der Bindungsforschung und Risikominimierung („harm reduction“) zur Lösung des Problems beitragen, indem sie Hilfsangebote schafft, Grauzonen vermeidet und Alternativen der Resilienz aufzeigt“, so Brockstedt. Die falsche Fixierung auf die ,Straftäter‘, also cannabiskonsumierende Jugendliche – das sind 8,7 Prozent der Altersgruppe 12 bis 17 Jahre – verstelle den therapeutischen und präventiven Blick darauf, dass immerhin 91,3 Prozent dieser Altersgruppe nicht kiffen. Die moderne Medizin ziele heutzutage deshalb vielmehr darauf ab, suchtgefährdeten Jugendlichen Wege der psychischen Widerstandskraft (Resilienz) aufzuzeigen: „Unter anderem geht es darum, ihnen Hilfsangebote regional und vor Ort in Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe und den Schulen (Bildungssektor) zu vermitteln und den Kontakt zu den Jugendlichen weder im Elternhaus noch im medizinischen Angebot abreißen zu lassen – getreu dem Motto ,Und führe mich in der Versuchung.‘“ Es sei jetzt an der Zeit, den Paradigmenwechsel in der Suchttherapie mit dem Ziel der Risikominimierung konsequent umzusetzen, d. h. neue Wege aufbauend auf den Erkenntnissen der Resilienzforschung zu beschreiten. „Der Anstieg des Cannabiskonsums ist ja gerade unter der bestehenden Verbotspraxis der zurückliegenden Jahrzehnte entstanden“, so Brockstedt. „Draus leite ich nicht notwendigerweise legalistische Forderungen ab. Andererseits erscheint eine Fortführung der bisherigen auf Verbote und komplette Drogenfreiheit setzenden Politik geradezu wie eine paradoxe Intervention im Stile Watzlawicks: ,Es hat nicht funktioniert, machen wir mehr davon.‘“
Dr. Matthias Brockstedt, Beauftragter Sucht des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin (bvkj) e. V.
© Privat
Regulierte und kontrollierte Abgabe
Aufgrund der bekannten Gesundheitsgefahren könnte ein möglicher risikovermindernder Weg nach Meinung des Suchtexperten eine gesetzlich geregelte Abgabe von Cannabis an Erwachsene unter Anpassung des Jugendschutzgesetzes sein. Eine solche Anpassung müsse dann jedoch automatisch auch ein Verkaufsverbot von allen Alkoholika an Jugendliche unter 18 Jahren sowie eine strikte Überwachung dieses Verbots einschließen. „Alles andere wäre scheinheilig und absurd, wenn wir einen wirksamen Schutz vor gesundheitsschädigenden Drogen in Deutschland erreichen wollen“, so Brockstedt. Alkoholwerbung vor jeder Sportveranstaltung sei dabei genauso kritisch zu bewerten und in ihren gesamtgesellschaftlichen gesundheitlichen Folgen für Jugendliche sehr viel gefährlicher als eine überwachte Abgabe von Cannabis an Erwachsene mit dem Risiko der Weitergabe an Jugendliche. „Diese Position vertritt unter anderem auch seit Jahren die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren (DHS) und findet unsere volle Zustimmung.“
KF (27.03.2020)
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