Wenn Rechtsextreme aussteigen wollen
Vom Ausstiegswilligen zum Aussteiger
Nachdem der Klient offiziell in das Programm aufgenommen wurde, werden die örtliche Polizei und deren Staatsschutzstelle sowie das Landesamt für Verfassungsschutz über die Aufnahme in das Programm informiert – immer im Wissen der Klienten. Damit soll ein verlässlicher Rahmen für diesen gebildet werden, gerade wenn es um Gefährdungssituationen mit alten Bekannten aus der Szene geht. Die Situation des Ausstiegswilligen wird im Rahmen einer festgelegten Systematik unter Anwendung von speziell für die Ausstiegsbegleitung entwickelten Arbeitsinstrumenten ganzheitlich erfasst, analysiert und dokumentiert. Mit einem umfassenden Ersterhebungsbogen wird nicht nur der Bezug zur rechtsextremen Szene genau betrachtet, sondern die gesamte Lebenssituation erfasst. „Wir müssen möglichst genau Bescheid wissen, um einen „Prozessplan“ erstellen zu können. Welchen Bildungshintergrund hat der Klient? Gibt es etwa Suchtproblematiken oder laufende Strafverfahren? Hat derjenige Schulden? Wie sehen die Wohnsituation und der generelle soziale Kontext aus? Über welche Ressourcen verfügt er? Wir stellen fest, in welchen Bereichen der Klient Unterstützung braucht“, erklärt der IKARus-Leiter. Zu diesem Zeitpunkt hat der Klient noch den Status „Ausstiegswilliger“. „Das hat auch symbolische Bedeutung. Wir wollen ihm damit klar machen, dass er noch am Anfang steht. Wir wollen sagen, „noch bist du nicht ausgestiegen – bis dahin liegt noch ein Stück Arbeit vor dir. Dazu gehört mehr als nur die Abkehr von rechtsextrem motivierten Straftaten.“ Erst nach einer längeren Phase, in der er bewiesen hat, dass er sich verlässlich an das Vereinbarte hält und sich erkennbare Verhaltensveränderungen zeigen, erhält der Klient den Status „Aussteiger“.
Hotline: 0611 83 57 57
Gefahren durch Ex-Kameraden
Die Situation des jeweiligen Klienten wird im Hinblick auf sein Umfeld genau untersucht, viele Faktoren, wie etwa die jeweilige rechtsextremistische Gruppe oder die Dauer der Zugehörigkeit, spielen eine Rolle. Die Maßnahmen, die im Anschluss getroffen werden, sind dabei individuell zugeschnitten. Die Befürchtungen und Ängste der Klienten im Zusammenhang mit ihrem Ausstieg werden einerseits immer ernst genommen – andererseits müssen aber auch reale Indikatoren für eine Gefährdung vorliegen, um polizeiliche Maßnahmen einleiten zu können. „Die Klienten sind verpflichtet, uns während des gesamten Ausstiegsprozesses alle relevanten Sachverhalte mitzuteilen – jeden zufälligen Kontakt, jede Begegnung, alles, was sie im rechtsextremen Kontext wahrnehmen. Nur dann können wir die Situation dauerhaft richtig einschätzen und die passenden Maßnahmen treffen bzw. initiieren. Wir tragen ja auch mit Verantwortung dafür, dass dem Klienten nichts passiert“, so Korstian. Am häufigsten aus dem Spektrum möglicher „Sanktionierungsmuster“ kommt es vor, dass der Ausstiegswillige unter subtilen Druck ehemaliger „Kameraden“ gerät und es zu Missachtungsgesten, Schmähungen, Beleidigungen, Provokationen bis hin zu Drohungen kommt, persönlich, aber auch mittels Kontaktaufnahme per Telefon oder in sozialen Netzwerken. Im schlimmsten anzunehmenden Fall müsse der Klient umgehend aus seinem gewohnten Lebensumfeld genommen werden, wenn es genügend Indizien dafür gibt, dass er konkret gefährdet ist. Das komme aber selten vor und würde nur gemacht, wenn es sich nicht vermeiden ließe. Denn man müsse sich im Klaren sein, dass durch so einen massiven Eingriff in das soziale Gefüge auch die positiven Sozialkontakte gekappt werden könnten und wichtige Ressourcen zur Stabilisierung des Klienten somit nicht mehr verfügbar seien, erklärt der Experte.
Umfassende Hilfe für alle Lebensbereiche
Peter Korstian betont, dass es beim Thema Ausstieg aus der rechten Szene noch um viel mehr geht als nur um die Loslösung aus einem rechtsextremistischen Lebensumfeld. „Bei den meisten unserer Klienten kommen noch andere Problematiken hinzu, wie etwa Suchtproblematiken, Arbeitslosigkeit, psychische Auffälligkeiten, Verschuldung oder laufende Gerichtsprozesse. Hier ist es wichtig, dass wir sie zeitnah an Stellen vermitteln, bei denen sie Beratung und Hilfe bekommen können – sei es medizinische, psychologische oder therapeutische. Es bringt nichts, die Situation isoliert zu betrachten und nur darauf zu schauen, ob die Person der rechten Szene den Rücken kehrt. Der Klient muss in seiner Persönlichkeit stabilisiert werden. Sonst fällt er bei der ersten Enttäuschung in alte Muster zurück.“
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