„Ich kann das sonst Niemandem erzählen!“
Wenn misshandelte Kinder ihr Schweigen brechen
Kinder mit Problemen können kostenfrei die Nummer gegen Kummer anrufen
© esthermm, Adobe Stock
Die Diplom-Pädagogin Beate Friese arbeitet seit über 30 Jahren bei Nummer gegen Kummer e. V. , der Dachorganisation des größten telefonischen Beratungsangebotes für Kinder, Jugendliche und Eltern in Deutschland. Bis 2004 war sie dort für das Kinder- und Jugendtelefon tätig. Seit acht Jahren arbeitet sie als Fachreferentin für die Internetberatung der Initiative.
Frau Friese, erleben viele Kinder, die sich an Sie wenden, Gewalt durch Erwachsene?
Es melden sich eine Menge Kinder, die Gewalt erleben. Wir haben dazu bundesweit etwa 9.000 Anrufe im Jahr. Auch in der Internetberatung kommt das Thema Gewalt immer wieder vor. Die Anrufe kommen von Mädchen und Jungen aus allen Altersstufen, ab etwa zehn Jahren. Die meisten, die sich an uns wenden, sind etwa 13 oder 14 Jahre alt. Es gibt aber auch junge Erwachsene von Anfang Zwanzig, die sich bei uns melden und uns erzählen, was ihnen in der Kindheit passiert ist. Sehr junge Kinder (unter acht Jahren) wenden sich eher seltener an uns. Für sie ist es schwierig, sich jemandem anzuvertrauen, den sie nicht sehen. Je jünger die Kinder sind, desto leichter geraten sie in Loyalitätskonflikte gegenüber Eltern und anderen Vertrauenspersonen.
Wovon berichten Ihnen die Kinder?
In Fällen von Gewalt und Missbrauch brauchen Kinder in jedem Fall Vertrauenspersonen, die ihnen weiterhelfen. Nicht immer sind das die Eltern, denn Missbrauch geschieht ja häufig in der Familie bzw. der Verwandtschaft selbst. Oft braucht es aber seine Zeit, bis das Kind überhaupt bereit ist, sich jemandem anzuvertrauen. Den ersten Schritt hat das Mädchen mit dem Anruf beim Kinder- und Jugendtelefon getan. Jetzt braucht es eine Perspektive.
Das Kind möchte, dass der Missbrauch aufhört – es weiß nur nicht, wie es vorgehen soll. Am Anfang stehen Hinweise, die helfen können, die Situation zu vermeiden. Diese müssen für das Kind aber auch umsetzbar sein. Beispielsweise fragen wir, ob das Mädchen sich vorstellen kann, wenn der nächste Besuch beim Onkel ansteht, den Eltern zu sagen, dass sie sich nicht wohl fühlt und lieber zuhause bleiben möchte. Sie fühlt sich ja tatsächlich nicht wohl. Oder sie verabredet sich mit einer Freundin und hat dann eben etwas anderes vor. Dadurch erkennt sie, dass sie nicht ganz so ohnmächtig ist. Sie muss zwar vielleicht zu Notlügen greifen, kann sich auf diese Weise aber besser schützen. Natürlich ist das keine dauerhafte Lösung und wir sind uns darüber im Klaren, dass eine Lösung ohne externe Hilfe meist nicht möglich ist. Aber für das Kind ist es erstmal ein Hoffnungsschimmer. Es merkt: „Ich kann auch etwas tun, ich muss das nicht aushalten.“ Das Ganze funktioniert meist nur in kleinen Schritten. Da wir aber nicht sicher sein können, dass die Kinder wieder anrufen, ist es in der Beratung auch wichtig, gleich zu Anfang auch Möglichkeiten anzusprechen, wie der Missbrauch dauerhaft beendet werden kann – etwa indem man sich an eine Vertrauensperson wendet.
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