Wenn Eltern süchtig sind, leiden die Kinder
Fast jedes sechste Kind in Deutschland lebt in einer Suchtfamilie
Mehr als zwei Millionen Kinder haben suchtkranke Eltern
© somenski, fotolia
Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass es in Deutschland 2,65 Millionen Kinder alkoholkranker Eltern gibt. 40.000 bis 50.000 Kinder haben Eltern, die von illegalen Drogen abhängig sind. Dazu kommen ungefähr 6 Millionen erwachsene Menschen, die in ihrer Kindheit mit Sucht im Elternhaus konfrontiert waren. Das ergibt eine Anzahl von 8 Millionen.
Zehn Prozent der Deutschen haben akut oder hatten in ihrer Kindheit mit Sucht in ihrem nahen sozialen Umfeld zu tun. Henning Mielke schätzt die Zahl der betroffenen Kinder in der Realität noch viel höher ein, da die stoffunabhängigen Süchte wie Spielsucht, Onlinesucht, Beziehungsabhängigkeiten oder Sex- und Liebessucht statistisch gar nicht erfasst sind. Mielke ist selbst Kind süchtiger Eltern und Gründer der Interessensvertretung für Kinder aus Suchtfamilien „NACOA Deutschland“. Er meint: „Die Gesellschaft ‘versüchtelt‘. Das heißt, dass sich die Menschen zunehmend betäuben, weil ihre alltäglichen Sorgen und Schwierigkeiten einen Schmerz auslösen. Unsere Gesellschaft ist heute in einem hohen Maße eine Suchtgesellschaft.“ Die Kinder leiden besonders darunter, weil suchtkranke Eltern emotional für sie nicht greifbar sind. Und dabei ist es egal, ob sie betrunken sind, sich ständig in der Spielhalle aufhalten oder ob sie sich Ihren Kick durch unkontrolliertes Einkaufen oder Internetsurfen holen. Man kann im Prinzip jedes Verhalten so ausüben, dass es einen zwanghaften Charakter bekommt. Henning Mielke: „Dann werden die Kinder mit ihren Bedürfnissen von den Eltern nicht wahrgenommen und die Eltern können ihre Kinder nicht zuverlässig mit Liebe und Zuwendung versorgen – so, wie es die Kinder es eigentlich bräuchten.“ Die Folgen für die Kinder suchtkranker Eltern sind gravierend. In der Familie herrscht eine Atmosphäre, die allein durch die Sucht des abhängigen Elternteils bestimmt ist, was bei betroffenen Kindern häufig zu seelischen und körperlichen Gesundheitsproblemen wie Depressionen und Angstzuständen führt. Auch zeigen sie oft Verhaltensauffälligkeiten und schlechtere Leistungen in der Schule als die Kinder aus nicht suchtbelasteten Familien.
„Der Elch im Wohnzimmer“
Die Geschichte vom „Elch im Wohnzimmer“ stammt vom Selbsthilfeverein „NACOA“. Sie beschreibt sehr bildlich, welche Atmosphäre in einer Suchtfamilie herrscht: „Stell dir vor, bei euch stünde ein ausgewachsener Elch im Wohnzimmer. Das Tierchen riecht recht streng, beansprucht eine Menge Platz, und sobald es sich bewegt, geht jede Menge Zeug zu Bruch. Der Elch ist Dauergast bei euch. Stell dir vor, dass es in deiner Familie ein geheimes Abkommen gibt, dass niemand jemals darüber sprechen darf, dass da ein Elch im Wohnzimmer steht. Das ist bei Strafe strengstens verboten! Alle müssen so tun, als wäre der Elch nicht da. Und alle halten sich auch daran. Wenn er auf den Boden scheißt ... Husch, husch, wird der Mist beseitigt, ohne Aufsehen zu erregen. Die Familie hat keinen Platz mehr, um gemeinsam zu Abend zu essen, weil der Elch so riesig ist. Jeder quetscht sich in eine Ecke und tut so, als wäre alles in bester Ordnung. Kannst du dir vorstellen, wie sich die Kinder in der Familie nach einer Woche fühlen? Nach zwei Wochen? Nach drei? Wahrscheinlich würden sie ihre Eltern am liebsten laut anschreien: „Schafft endlich den verdammten Elch raus!" Aber: Es gilt ja die geheime Regel: kein Wort über den Elch!“
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