Kinderpornografie im Netz
Wird der §184b des Strafgesetzbuchs erneut geändert?
Im Internet kursieren große Mengen kinderpornographischer Bilder
© MQ-Illustrationsaf/stock.adobe.com
Während des Corona-Homeschoolings bekommt eine achtjährige Schülerin über den Chat ein Foto des Intimbereichs einer Mitschülerin zugeschickt. Ihre Mutter sieht das, fertigt einen Screenshot des Chats an und teilt das Foto in einem Eltern-Chat, um zu zeigen, was da so alles unter den Kindern kursiert. Ihr droht nun wegen Besitz kinderpornographischer Fotos ein Jahr Haft ohne Bewährung.
Im Fall dieser besorgten Mutter wollte der Amtsrichter in München jedoch keine Haftstrafe verhängen, sondern er hat sich an das Bundesverfassungsgericht gewendet. Dass es im Strafgesetzbuch keinen „minderschweren Fall“ mehr gibt und dass das Verfahren daher nicht mehr wegen Geringfügigkeit eingestellt werden kann, hält er für verfassungswidrig. Der Richter bezieht sich dabei auf die neue Fassung des § 184b des Strafgesetzbuchs, die erst im Juli 2021 in Kraft getreten ist. Dieser Paragraph befasst sich mit der Verbreitung, dem Erwerb und dem Besitz kinderpornographischer Inhalte. Die neue Fassung hat den Strafrahmen für solche Handlungen verschärft. Bereits der Besitz einer einzigen kinderpornographischen Datei muss mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr geahndet werden. Das Gesetz lässt den Richterinnen und Richtern keinen Spielraum. Wenn man also von jemandem ungefragt kinderpornographische Bilder zugeschickt bekommen hat, ist es ist also eine schlechte Idee, mit dem Handy zur Polizei zu gehen, auf der Wache die Bilder zu zeigen und eine Anzeige zu erstatten. Es macht auch keinen Unterschied, ob man nur einen Screenshot davon gemacht hat, um das Foto als Beweis zu sichern, und das Foto danach sofort gelöscht hat. Die Polizei hat die Pflicht, so etwas anzuzeigen und dann greift der verschärfte § 184b.
Wird die Verschärfung des Gesetzes wieder zurückgenommen?
Die harte, neue Fassung des § 184b wurde von der letzten Bundesregierung in Kraft gesetzt. Im Herbst 2023 steht sie auch auf politischer Ebene wieder in der Diskussion. Wie eine Recherche der Tageszeitung WELT ergab, überlegen zahlreiche Landesjustizministerinnen und -minister, diesen Paragraphen beim nächsten Treffen der Länder mit Bundesjustizminister Buschmann im November 2023 wieder zu entschärfen. Ein entsprechender Antrag aus Brandenburg liegt vor. Denn er trifft zu oft die falschen. Die Mutter aus Bayern steht nicht allein da. Es gibt weitere Beispiele, bei denen eine einjährige Haftstrafe offensichtlich unangemessen wäre: Eine Frau, die von einem Mann vergewaltigt worden war, hatte auf ihrem Handy noch kinderpornographische Fotos gespeichert, die ihr der Täter geschickt hatte. Als sie diese der Polizei als Beweismaterial übergab, kam es zur Anklage. Auch ein junger Vater, der ein Foto seines nackten neugeborenen Sohns auf dem Sperrbildschirm seines Handys gespeichert hatte, wurde wegen Besitz von kinderpornographischem Material belangt.
„Sexting“ unter Jugendlichen wird kriminalisiert
Ganz besonders trifft der reformierte §184b Kinder und Jugendliche. Wenn sich Jungen und Mädchen unter 14 Jahren selbst beim Sex oder der Masturbation aufnehmen, gelten diese Aufnahmen als Kinderpornografie. Bei strafmündigen Jungen und Mädchen über 14 Jahren muss dieses sogenannte „Sexting“ nach aktueller Rechtslage als Verbrechen bestraft werden. Ralf Kölbel, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, machte in der Tageszeitung WELT einen Gegenvorschlag: „Wenn Jugendliche untereinander Bilder tauschen, sollte die Strafbarkeit an bestimmte Bedingungen geknüpft sein, zum Beispiel, dass dies zu erpresserischen Zwecken geschieht oder für Mobbing genutzt wird. Aber nicht, wenn es um ein Element der sexuellen Entwicklung geht.“ Kerstin Claus, die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, ging bei der Vorstellung der Zahlen aus der aktuellen Kriminalstatistik zu sexuellem Kindesmissbrauch im Jahr 2022 genau auf solche Missbrauchsdarstellungen ein. „Es sind vielleicht auffällige, vermeintlich coole Bilder oder Clips mit Musik, Geräuschen, Animationen versehen, die dann geteilt werden. Oft ohne zu verstehen, dass es sich um Darstellungen realer, tatsächlich sich ereignender Gewalt handelt, dass sie real sind, kein Joke, kein Fun“, erklärte Claus. Den meisten Kinder und Jugendlichen sei gar nicht bewusst, dass das Teilen dieser Bilder eine Straftat sei. Kerstin Claus warb dafür, den § 184b so anzupassen, dass sich Polizei und Staatsanwaltschaften mehr darauf konzentrieren könnten, „eindeutig ausbeuterische Taten zu Lasten von Kindern und Jugendlichen“ zu verfolgen.
Die Zahl aufgedeckter Fälle steigt
Die Zahl der Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Internet ist laut Kriminalstatistik alarmierend hoch und sie steigt weiter an: 2022 wurden 42.075 Fälle registriert – sieben Prozent mehr als 2021. Fasst man die Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen zusammen, kommt man auf mehr als 48.800 Fälle. Die Zahl der Fälle im Vergleich hat sich im Vergleich zum Jahr 2018 mehr als verzwölffacht. Das liegt daran, dass heute ein deutlich mehr Menschen der Besitz dieser Fotos nachgewiesen werden wird. Das hat nach der Einschätzung von BKA-Präsident Holger Münch vor allem damit zu tun, dass das Bundeskriminalamt vermehrt Hinweise von der halbstaatlichen US-Organisation NCMEC erhält. Diese sammelt systematisch Verdachtsfälle und arbeitet dabei mit den Betreibern von Messengerdiensten wie Whatsapp oder Threema zusammen. Das Dunkelfeld sei mutmaßlich viel höher als die Zahl der aufgedeckten Fälle, betonte Münch.
WL/TE (25.08.2024)
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