Swatting von Live-Streamern und Politikern
Internet-Trolle setzen falsche Notrufe ab
Die Polizei-Einsätze können für die Betroffenen martialisch wirken
© Sven Grundmann / stock.adobe.com
Seit einigen Jahren bringt eine Gruppe von Internet-Trollen vor allem Live-Streamer, aber auch Politiker mit Fake-Notrufen in Bedrängnis. Bei diesen „Swatting“ genannten Aktionen werden Notfälle vorgetäuscht, um einen Polizei-, Feuerwehr- oder Rettungseinsatz auszulösen. Ziel ist es, andere Menschen durch den Einsatz in Schwierigkeiten zu bringen. Etwa, indem jemand als vermeintlicher Attentäter oder Amokläufer denunziert wird. Swatting ist in Deutschland und vielen anderen Ländern strafbar.
Live-Streamer im Visier
In den Vereinigten Staaten sind bereits zahlreiche Prominente Opfer von Swatting-Attacken geworden. So etwa Paris Hilton, Justin Timberlake oder Tom Cruise. Der Begriff leitet sich von der Abkürzung „SWAT“ ab, die für die amerikanischen Spezialeinheiten „Special Weapons and Tactics“ steht. Diese schwerbewaffneten Einheiten kommen bei polizeilichen Sonderlagen wie zum Beispiel bei Terrorangriffen zum Einsatz und sind für ihr martialisches Auftreten bekannt. In den USA sind durch Swattings-Attacken bereits mehrere Menschen gestorben. Das Gegenstück zu den amerikanischen SWAT-Teams sind in Deutschland die Spezialeinsatzkommandos (SEK). Um etwa Einsätze dieser Einheiten zu provozieren, organisiert seit einiger Zeit eine Gruppe von Internet-Trollen falsche Notrufe über vermeintliche Messerstechereien, Bomben oder Terrorangriffe. Die Gruppe nennt sich selbst „NWO“, was für „New World Order“ steht. Damit wird auf verschiedene Verschwörungstheorien angespielt, nach denen Eliten und Geheimgesellschaften danach streben, eine neue Weltregierung zu errichten. Als Ziel für ihre Swatting-Angriffe haben sich die NWO-Mitglieder vor allem Live-Streamer ausgesucht. Denn wenn es dann zu einem Polizeieinsatz kommt, können sie als eine Art Reality-TV live mitverfolgen, wie ihr Opfer von den Einheiten überwältigt wird.
Schadenfreude und Allmachtsgefühl
Die beiden Medien „Kontraste“ und „Spiegel“ haben in aufwändigen Recherchen das Vorgehen dieser Gruppe untersucht und auch mit Insidern gesprochen. Die Journalisten haben einen riesigen Datensatz mit 75.000 internen Chatnachrichten gesichtet. Darüber hinaus wurden auch Tonaufnahmen von Gesprächen aus unterschiedlichen Quellen in einem Zeitraum von rund sechs Jahren ausgewertet. Die Gruppe hat sich insbesondere auf Live-Streamer konzentriert, die ihre Inhalte zum Beispiel auf dem Live-Video-Portal „Twitch“ präsentieren. Das „Institut für Sicherheit und Datenanalyse im Streaming“ (ISDS) hat laut eigenen Angaben Informationen darüber, dass 1.048 Streamer auf Twitch im Visier von NWO stehen sollen. Der gemeinnützige Verein ISDS ist eine Interessenvertretung von Streamern. Er hat seit Februar 2022 mehr als 130 konkrete Fälle von Swattings bei Streamern gezählt. In dem Fernsehbeitrag von „Kontraste“ wird ein ehemaliges Mitglied der Gruppe NWO anonym interviewt. Der Mann berichtet, dass er über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren drei oder vier Swatting-Versuche pro Woche begangen hat: „Man hat Spaß daran, wenn die Leute sauer auf einen sind, aber man nicht schnappbar ist. Nicht fassbar. Das ist ja nichts anderes, als würde man jetzt den Fernseher anschalten, auf 'RTLZWEI' 'Auf Streife' schauen. Das ist genau das Gleiche, nur das man diesen Extrabonus hat, dass man steuern kann." Langeweile, Schadenfreude und ein Allmachtsgefühl sind die Antriebsfedern. Häufig werden die gleichen Opfer immer wieder durch Swattings attackiert. Es ist eine Art ständige Verfolgung, die zu Traumata bei den Betroffenen führen kann.
Hohe Strafen
Auch aktuelle und ehemalige Landtagsabgeordnete aus Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wurden Opfer von Swatting-Attacken. Die Journalisten von „Kontraste“ und dem „Spiegel“ stießen bei ihren Recherchen auf zwei Adresslisten von 77 Personen. Zehn Politiker von dieser Liste bestätigten bei stichprobenartigen Nachfragen, dass sie Opfer von Swatting-Attacken geworden sind. Die falschen Notrufe können sehr unterschiedlich sein. Die Swatter melden etwa einen Brand oder Unfall. In anderen Fällen werden konkret Personen denunziert, dass sie beispielsweise einen Messerangriff verüben wollten oder angeben, dass die Zielpersonen eine Bombe bei sich hätten. Laut den Recherchen der Journalisten waren die Internet-Trolle von NWO auch für eine Serie von Bombendrohungen im Oktober und November 2023 verantwortlich, die sich vor allem gegen öffentliche Einrichtungen wie Schulen und ausländische Botschaften richtete. Zwar legten die Drohschreiben einen Bezug zum Nahost-Konflikt nahe, doch tatsächlich hatten sie kein politisches Motiv. Auch hier ging es den Swattern allein darum, einen Einsatz von Polizei und Sicherheitskräften zu provozieren. Die Kosten für solche falschen Einsätze sind enorm. Inzwischen hat die Polizei zwei Tatverdächtige festgenommen: einen 19jährigen und einen 30jährigen Mann. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe ordnet ihnen 33 Verfahren zu. Sie ermittelt wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Bei einer Verurteilung drohen ihnen hohe Strafen. In Deutschland verurteilte 2017 beispielsweise das Landgericht Nürnberg-Fürth einen geständigen Mann zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten unter anderem wegen des Missbrauchs von Notrufen. Der Täter hatte 2015 bei der Feuerwehr von Emskirchen angerufen und gab an, dass auf dem Grundstück eines unter dem Namen Drachenlord bekannten YouTubers ein Großbrand ausgebrochen sei. Die Tat wird als der erste bekannte Fall von Swatting in Deutschland angesehen.
TE (24.05.2024)
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