Entzug von Grundrechten – geht das überhaupt?
Das Prinzip der wehrhaften Demokratie
Die Grundrechte sind zentraler Bestandteile des Grundgesetzes
© Marco Drux / stock.adobe.com
Die Bekämpfung des Rechtsextremismus dominiert seit Wochen die Medien. Besonders die AfD und eines ihrer prominentesten Mitglieder stehen dabei im Fokus: der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke. Die Kampagnennetzwerk Campact hat eine Online-Petition mit dem Ziel gestartet, Björn Höcke eine Reihe von Grundrechten zu entziehen. So soll verhindert werden, dass der Politiker in den Landtag gewählt werden kann. Doch geht das überhaupt: Können einem Bürger Grundrechte entzogen werden? Und wenn ja, wer entscheidet das?
Größte Online-Petition
Mehr als 1,6 Mio. Unterschriften wurden innerhalb von zwei Monaten auf der Internet-Plattform von Campact gesammelt. Nach Angaben der Organisatoren ist es die bisher größte Online-Petition in Deutschland. Die Bundesregierung sowie der Bundestag werden dazu aufgefordert, beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 des Grundgesetzes (GG) für den Partei- und Fraktionschef der Thüringer AfD, Björn Höcke, zu stellen. Hintergrund ist die Landtagswahl am 1. September 2024 in Thüringen. Sollte Höcke Grundrechte nach Artikel 18 GG verlieren, dürfte er weder wählen noch sich als Kandidat zur Wahl aufstellen lassen. Die Petition richtet sich deshalb an die Bundesregierung und den Bundestag, weil nur sie – neben den Landesregierungen – ein sogenanntes Grundrechtsverwirkungsverfahren beantragen können. Nach einem Vorverfahren, indem die Zulässigkeit und die Begründung des Antrags geprüft werden, kann das Bundesverfassungsgericht dann Ermittlungen einleiten. Dazu können auch Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahmungen gehören. Die Verfahren dauern meist sehr lange. Beobachter gehen davon aus, dass selbst, wenn ein Verfahren gegen Björn Höcke eröffnet würde, dies keine Relevanz für die thüringische Landtagswahl im Herbst hätte. Das Bundesverfassungsgericht wird bis dahin sicherlich keine Entscheidung treffen.
Menschenrechte und Bürgerrechte
Dass Grundrechte überhaupt eingeschränkt werden dürfen, ist Teil des im Grundgesetz verankerten Prinzips der wehrhaften Demokratie. Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik wollte man mit dem Grundgesetz die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) besser schützen. Sie wird als absoluter Mindeststandard einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft angesehen. Sie kann daher auch nicht auf legalem Wege oder über Mehrheitsentscheidungen aufgehoben werden. Gegen Personen oder Gruppen, die als verfassungsfeindlich eingestuft werden, kann präventiv etwa mit dem Aussetzen bestimmter Grundrechte vorgegangen werden. Allerdings können nicht alle Grundrechte eingeschränkt werden. Das Grundgesetz unterscheidet zwischen allgemeinen Menschenrechten und Bürgerrechten. Die Grundrechte werden in Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes formuliert. Menschenrechte sind unveräußerlich und können auch durch den Staat nicht eingeschränkt werden. Dazu gehört etwa die Würde des Menschen oder die Unverletzlichkeit der Person, was zum Beispiel Folter ausschließt. Die Einschränkungen, die nach Artikel 18 möglich sind, umfassen klar umrissene Bürgerrechte wie die Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit oder das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Bürgerrechte beziehen sich auf Menschen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit. So kann beispielsweise das Demonstrationsrecht für ausländische Menschen einfacher eingeschränkt werden, da sie nicht die deutschen Bürgerrechte besitzen.
Hohe Hürden
Artikel 18 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
Bislang wurden in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt vier Verfahren auf den Entzug von Grundrechten angestrengt. Immer richteten sich die Verfahren gegen Rechtsextreme. In keinem Fall hat das Bundesverfassungsgericht eine Verwirkung von Grundrechten ausgesprochen. Die Hürden sind also hoch. Für manche Kritiker ist das ein gutes Zeichen. Der deutsche Politikwissenschaftler Claus Leggewie und sein Co-Autor Horst Meier formulieren in ihrem Buch „Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie“ ihr Unbehagen gegenüber der Forderung, einzelnen Personen Grundrechte zu entziehen: Politische Betätigung, die den Schutz der Grundrechte genießt, sei legal und bleibe das normalerweise auch – auch wenn sich Extremisten und Radikale politisch betätigen. Artikel 18 GG fordere eine Verfassungstreuepflicht für jedermann. Das sei gefährlich: Damit bekämen die Staatsorgane die Macht in die Hand, zwischen dem „richtigen“, verantwortungsbewussten, staatstragenden Gebrauch der Grundrechte und ihrem „falschen“, unverantwortlichen und staatsgefährdenden Missbrauch zu unterscheiden. Aus Sicht der Bürgerrechte sei es daher als positiv zu bewerten, dass das Bundesverfassungsgericht bislang noch keine einzige Grundrechteverwirkung ausgesprochen hat.
TE (23.02.2024)
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