Antisemitismus in Deutschland
Aktuelle Trends und Entwicklungen
Propalästinensische Demonstration in Berlin
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Seit dem Überfall der Hamas auf israelisches Gebiet kommt es in deutschen Städten regelmäßig zu propalästinensischen Demonstrationen. Neben den Sympathiebekundungen für die als terroristisch eingestufte Hamas werden vor allem antisemitische Parolen verbreitet. Besonders erschreckend ist dabei der Schulterschluss mit linken Gruppierungen, die auf den Demonstrationen mitlaufen und ihren ganz eigenen Antisemitismus artikulieren. Als auch noch die Ikone der Klimabewegung, Greta Thunberg, sich antiisraelisch und pro-palästinensisch äußerte, kamen endgültig alte Gewissheiten ins Wanken: Antisemitismus ist kein Phänomen des Rechtsextremismus, sondern viel stärker in unserer Gesellschaft verbreitet als bislang gedacht.
Antisemitismus bei Menschen mit Migrationshintergrund
Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Gewalt auf Demos – das BKA hat seit dem 7. Oktober 2023 rund 3.300 Straftaten mit Bezug zum Nahost-Krieg registriert. Vor allem auf den propalästinensischen Demonstrationen ist es zu mehreren hundert Straftaten gekommen. Davon stuft die Polizei fast drei Viertel als „politisch motivierte Kriminalität – ausländischer Ideologie“ ein. Ganz überraschend ist diese Entwicklung nicht. In der vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) im Jahr 2022 veröffentlichten Studie „Antimuslimische und antisemitische Einstellungen im Einwanderungsland – (k)ein Einzelfall?“ kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Befragte mit Migrationshintergrund insgesamt häufiger klassisch antisemitische Einstellungen vertreten als Befragte ohne Migrationshintergrund. Während etwa jeder Zehnte ohne Migrationshintergrund (11,3%) der Aussage „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss“ zustimmt, gilt dies für etwa ein Viertel (23,5%) der Menschen mit Migrationshintergrund aus einem EU-Mitgliedsstaat, 40,2% der Befragten mit Migrationshintergrund aus der „übrigen Welt“ und jeden Zweiten mit türkischen Wurzeln (52,2%). Dr. Sina Arnold der Technischen Universität Berlin zeigt in ihrer im April 2023 veröffentlichten Studie, das Antisemitismus mit Bezug zum Staat Israel bei Menschen mit Migrationshintergrund häufiger verbreitet ist als bei Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. So sei Antisemitismus in einigen Ländern vor allem des Nahen Ostens stärker verbreitet als in Deutschland. Dort ist er sogar Teil »staatlicher Propaganda«. Die Untersuchung habe jedoch auch ergeben, dass Antisemitismus unter Musliminnen und Muslimen oft eher eine Folge konservativ-autoritärer Einstellungen sei als der Religion an sich. Das gehe etwa aus dem »Berlin-Monitor« von 2019 hervor, der Zustimmungswerte unter Musliminnen und Muslimen mit denen von AfD-Wählern vergleiche. Andererseits müsse man, so Arnold, beim Verwenden der Kategorie »Migrationshintergrund« vorsichtig sein, da dieser Begriff nur bedingt aussagekräftig sei. Mehrere wichtige Faktoren sind für antisemitische Einstellungen bestimmend: Wie lange die jeweiligen Personen bereits in Deutschland leben, ob sie eingebürgert wurden und aus welchem Herkunftsland sie kommen. So schwinde etwa eine höhere Zustimmung zu antisemitischen Aussagen, je länger Migrantinnen und Migranten in Deutschland lebten.
Linker Antisemitismus
Bemerkenswert ist, dass auch viele Menschen aus dem linken Spektrum antisemitische Ansichten vertreten. Sie positionieren sich klar propalästinensisch: Die Hamas ist für sie eine Befreiungsbewegung, die sich gegen die israelischen Besatzer und Unterdrücker wehrt. Gewalt ist dabei als Teil des Befreiungskampes gerechtfertigt. Mitleid haben diese linken Aktivisten im aktuellen Konflikt nicht mit den israelischen Opfern des brutalen Überfalls der Hamas, sondern nur mit den Bewohnern des Gaza-Streifens. Dabei skandieren sie, wie etwa Greta Thunberg, die Parole „From the river to sea“, die nichts anderes bedeutet als die Vernichtung Israels. Denn mit dem Fluss ist der Jordan gemeint, mit dem Meer das Mittelmeer, also der Bereich, in dem der heutige der Staat Israel liegt. Der Journalist Josef Joffe führt in der Neuen Zürcher Zeitung aus, dass dieser Antisemitismus sich auf ein Weltbild zurückführen ließe, das nur »Unterdrücker« und »Unterdrückte« kennt. Der globale Schinder sei der »Weiße Mann«, seine Opfer seien alle People of Color (POC). Das westliche kapitalistische System, dass ja auch für den Klimawandel verantwortlich sei, säße danach auf der Anklagebank. Israel als kolonialistischer Siedlerstaat sei in dieser Lesart ein Erfüllungsgehilfe des Westens und die Palästinenser unterdrückte Opfer, die befreit werden müssten.
Rechter Antisemitismus
2.641 polizeilich erfasste antisemitische Delikte gab es im Jahr 2022 in Deutschland. 88 waren Gewaltdelikte. Laut Bundesinnenministerium waren 84 Prozent davon der politisch rechts motivierten Kriminalität zuzurechnen. Das hängt nicht zuletzt mit dem Erstarken von rechtem Gedankengut insgesamt in der Gesellschaft zusammen. Mit dem Internet und in sozialen Netzwerken hat der Antisemitismus zudem einen weiteren Verbreitungsweg gefunden. Prof. Dr. Thomas Grumke von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW sieht in den erfassten Straftaten immer nur die Spitze eines Eisbergs. „Die meisten Menschen mit einer solchen Gesinnung setzen ihre politische Einstellung nicht in entsprechende Handlungen um“, so der Extremismusforscher. Doch Rechtsextreme begehen die meisten judenfeindliche Aktionen wie Angriffe auf jüdische Einrichtungen, Propagandadelikte oder Gewalttaten. Doch welches Mittel ist am wirkungsvollsten gegen Judenfeindlichkeit? Grumke sieht in Bildung und Begegnung die größten Chancen, um gegen antisemitisches Gedankengut vorzugehen: „In meinen Polizeikursen an der Fachhochschule gehe ich während des Grundstudiums immer auch in eine Synagoge. Da nur ein sehr geringer Anteil der deutschen Gesellschaft Juden sind, ist die persönliche Begegnung sehr wichtig – auch für angehende Polizistinnen und Polizisten. Indem man sich kennenlernt, lassen sich eventuelle Vorurteile am besten abbauen.“
TE (24.11.2023)
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