Sexualisierte Gewalt in der Pflege
Täter haben zwei Gesichter
Die Seminare sollen auch für das Vorgehen der Täter sensibilisieren. „Es gibt keine Checkliste, die man abhaken kann. Es geht darum, die Augen offen zu halten und auf Hinweise zu achten. Denn die Täter gehen oft strategisch vor“, erklärt Ansgar Kesting. Hinweise können sein, dass eine Kollegin oder ein Kollege freiwillig alle Zusatzdienste oder Nachtschichten übernimmt, spezielle Beziehungen zu Bewohnern aufbaut oder mit leichten Grenzverletzungen die Aufmerksamkeit der Einrichtung testet. Ziel ist es, sich mit dem Opfer möglichst abzuschotten, so dass niemand etwas mitbekommt. „Wichtig ist auch zu verstehen: Ein Täter hat meist zwei Gesichter – ein freundliches in der Öffentlichkeit und ein finsteres dem Opfer gegenüber. Außerdem sind sie Meister der Manipulation. Sie verstehen es, ihre Umgebung zu täuschen. Oft entpuppt sich derjenige als Täter, von dem man es am wenigsten erwartet“, betont der Präventionsexperte. Und genau das mache die Sache so schwierig: Einerseits brauche man Vertrauen, um gut miteinander arbeiten zu können. Andererseits müsse man aber auch kritisch sein. „Wir möchten erreichen, dass alle Angestellten erkennen, dass sexualisierte Gewalt auch in ihrem Arbeitsumfeld vorkommen kann“, fügt Karin Gollan hinzu.
Mein Kollege – ein Täter?
Das Seminar beschäftigt sich auch damit, was man tun kann, wenn sich ein Verdacht erhärtet. Denn oft beginnt es mit einem Bauchgefühl. „Es ist wichtig, diesem Gefühl nachzugehen. Unsere Angestellten haben die Möglichkeit, sich auch in diesem frühen Stadium bereits professionelle Unterstützung zu holen“, erklärt Karin Gollan. Hilfe finden sie bei internen Präventionsbeauftragten, aber auch bei externen Ombudsstellen, deren professionellen Beratern man den Sachverhalt schildern kann – auch anonym. Mit dieser Möglichkeit soll Handlungssicherheit geschaffen und die Hemmschwelle, über den Verdacht zu sprechen, herabgesetzt werden. „Gerade in der Pflege ist der Zusammenhalt groß. Den Verdacht zu äußern, dass sich eine Kollegin oder ein Kollege an Schutzbefohlenen vergeht, braucht Mut – vor allem, weil es sich zunächst nur um eine Ahnung handelt“, so Gollan weiter. Die Ombudsstellen geben Tipps zum weiteren Vorgehen, zum Beispiel, Verdachtsmomente zu dokumentieren. „Sollte sich der Verdacht erhärten, haben wir einen klaren Plan. Die Vorkommnisse müssen an die Präventionsbeauftragten gemeldet werden. Diese steuern dann den weiteren Prozess und stellen zum Beispiel sicher, dass alle Beteiligten angehört werden und dass die Geschäftsführung eingebunden wird. Außerdem werden grundsätzlich externe Fachberatungsstellen hinzugezogen“, erklärt Kesting.
Viel positives Feedback
Seit 2017 konnten bereits alle Führungskräfte geschult werden. Für die Angestellten werden eintägige Seminare angeboten. „Wir sind überrascht, wie gut die Seminare ankommen. Offensichtlich haben wir einen Nerv getroffen, dass über das Thema gesprochen werden darf“, so Ansgar Kesting. Karin Gollan ergänzt: „Wir möchten, dass innerhalb der Teams die Strukturen immer wieder hinterfragt werden. Es soll selbstverständlich sein, über sexualisierte Gewalt zu sprechen.“
SBa (25.01.2019)
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