Milde Urteile, freie Straftäter
Die Hälfte der Verfahren wird eingestellt
Viele Strafverfahren werden aus Mangel an Beweisen eingestellt
© Andrey Burmakin/stock.adobe.com
Deutschland ist ein Rechtsstaat. Wenn die Polizei einen Täter ermittelt und festnimmt, entscheidet im weiteren Verlauf die Staatsanwaltschaft, ob gegen den Beschuldigten Anklage erhoben wird. Wenn ja, muss dieser vor Gericht erscheinen und ein Richter entscheidet, ob die Beweise für eine Verurteilung ausreichen und wie hoch in diesem Fall das Strafmaß ist. In der Praxis kommt es jedoch immer wieder vor, dass Strafverfahren wegen Geringfügigkeit oder fehlender Beweise eingestellt und straffällig gewordene Täter wieder freigelassen werden. So endeten 2018 von fast fünf Millionen Ermittlungsverfahren mehr als die Hälfte ohne Anklage. Warum entscheidet das deutsche Rechtssystem in den meisten Fällen so?
Trend setzt sich fort
Laut Statistischem Bundesamt wurden 2018 von insgesamt 4,9 Millionen Ermittlungsverfahren 56,8 Prozent ohne Anklage eingestellt. Der Trend der Vorjahre setzte sich damit fort. Bei fast jedem dritten Verfahren (28,4 Prozent) lautete die Ursache „mangelnder Tatverdacht“. Knapp ein Viertel der Verfahren (24,7 Prozent) endete ohne Auflage. Nur in 8,6 Prozent der Fälle wurde nach einem erledigten Ermittlungsverfahren eine Anklage von der Staatsanwaltschaft erhoben.
Steigende Belastung von Polizei und Justiz
Die Verurteilung von Straftaten hängt in erster Linie von der Tat, dem Motiv und dem Schuldigen ab. Weitere Einflussfaktoren auf das Vorgehen von Polizei und Justiz sind aber auch deren Kapazitäten und Verfahrensgrundlagen, wie zum Beispiel die Beweispflicht. Experten werten die hohe Zahl der eingestellten Strafverfahren als deutlichen Hinweis auf die zunehmende Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaften. So kann unter anderem eine personelle Unterbesetzung von Justiz und Polizeibehörden dazu führen, dass es oftmals erst gar nicht zum Prozess kommt. Stattdessen konzentrieren sich die Ermittlungen aus Gründen der Effizienz immer häufiger auf ein oder zwei Haupttäter. Das führt dazu, dass die Strafverfahren gegen andere Mittäter, die sich eventuell auch strafbar gemacht haben, eingestellt werden.
Komplexe Entscheidungsprozesse
Vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität sind Ermittlungsverfahren in der Regel sehr komplex und die Justiz muss einen enormen Aufwand betreiben, um eine Straftat nachzuweisen. Oft werden die Verdächtigen in diesen Fällen von hoch spezialisierten Strafverteidigern vertreten, denen es unter Umständen gelingt, die Strafe durch geschickte Verhandlungsstrategien auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Diese Verteidiger haben viel Zeit und Mittel, über die Justiz, Polizei und Zoll meistens nicht verfügen. Auch beim Missbrauch von Betäubungsmitteln gibt es zwar oft Täter und Beweise. Bis diese aber labortechnisch analysiert und als brauchbare Indizien nachbearbeitet sind, ist meist zu viel Zeit vergangen. Verfahren werden dann gegen bestimmte Auflagen, beispielsweise gegen Zahlung eines Bußgeldes, eingestellt. Hinzu kommt, dass man einem Täter nach deutschem Rechtssystem die Tat zweifelsfrei nachweisen muss, um eine handfeste Beweisgrundlage für eine Verurteilung zu schaffen. Hier ist sorgfältige und aufwändige Polizeiarbeit gefragt. Nur mit einer „wasserdichten“ Beweisführung kann ein Urteil etwa in einem Revisionsverfahren auch Bestand haben. Dabei steht die Justiz – gerade im Bereich Gewaltkriminalität – zusätzlich unter großem Druck: Zwischen dem Urteil, das die Öffentlichkeit erwartet, und dem Urteil, das der Richter letztendlich fällt, kann ein großer Unterschied bestehen. Das ist eine enorme zusätzliche Belastung für alle Beteiligten eines Strafverfahrens. KF (31.07.2020)
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