Projekt „Alltagsreflexion“
Das eigene Verhalten überdenken
Ursprünglich ist das Projekt „Alltagsreflexion“ aus einem interdisziplinären Workshop an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) entstanden und wurde anschließend im Zusammenhang mit der Stabsstelle „Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ vom Innenministerium NRW übernommen. Minister Herbert Reul beauftragte 2021 die Polizeiabteilung des Ministeriums, ein entsprechendes Format in mehre-
ren Polizeibehörden zu erproben – darunter in Dortmund, Duisburg, Köln, Mönchengladbach und Wuppertal. Hülya Duran hat das Projekt gemeinsam mit Landespolizeipfarrer Stephan Draheim in Münster umgesetzt. „Aus der psychotraumatologischen Sicht ist mir im Laufe meiner Berufslaufbahn immer wieder aufgefallen, dass junge Beamtinnen und -beamte, die frisch zur Polizei kommen, in der Regel aus einem gut behüteten Elternhaus stammen und größtenteils keinerlei aktive oder passive Gewalterfahrungen gemacht haben“, berichtet der Polizeiseelsorger. „Wenn diese jungen Menschen dann von null auf hundert mit dem Gesicht in der Realität aufschlagen und keine Möglichkeit haben, das Erlebte reflektieren, verändert sie das auf Dauer in ihrer Wahrnehmung, ihrer Haltung und in ihrem Verhalten.“ Türmen sich Belastungen im Laufe der Jahre aufeinander auf, ohne verarbeitet zu werden, seien dienstältere Beamtinnen und Beamte von jetzt auf gleich nicht mehr in der Lage, zu funktionieren – weil ein kleiner Triggerpunkt eine ganze Kettenreaktion ausgelöst hat und Einsätze, die 25 oder 30 Jahre her sind, wieder hochkommen. Aus diesem Grund sei es wichtig, das eigene Verhalten regelmäßig zu überdenken und sich zu fragen: Was geht eigentlich in meinem Kopf vor? Kann ich mich noch mit den Werten der Polizei identifizieren? Wie reagiere ich auf Menschen, die anders sind – und wieviel interkulturelle Kompetenz habe ich überhaupt (noch)? „Das Unterstützungsinstrument ‚Alltagsreflexion‘ schafft einen Raum, in dem jede und jeder seine persönlichen Erfahrungen reflektieren kann, ohne Angst haben zu müssen, dafür beschämt zu werden“, so Stephan Draheim. „Es dürfen zu keinem Zeitpunkt Vorverurteilungen oder Verdächtigungen entstehen.“
Führungskräfte tragen Verantwortung
Hülya Duran und Stephan Draheim ist es im Rahmen des Projekts ein großes Anliegen, dass sich insbesondere Führungskräfte, darunter Dienstgruppenleiter und Zugführer, ihrer Fürsorgepflicht ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber bewusst sind. „Das Funktionieren einer Gruppe steht und fällt immer mit dem beziehungsweise der Vorgesetzten“, so Duran. „Wenn diese Person nicht richtig reagiert und agiert, spiegelt sich das irgendwann in einer jungen Dienstgruppe wider.“ Die Pilotphase des Projekts ist mittlerweile abgeschlossen: 2022 wurden insgesamt 20 neue Fachstellen für den neuen Arbeitsbereich „Alltagsreflexion“ in NRW geschaffen – 2023 kommen eventuell weitere 20 Stellen dazu. Das Team aus psychosozialen Fachkräften wird an die regionalen Trainingszentren der Polizei NRW angebunden und soll die Alltagsreflexion gemeinsam mit der Polizeiseelsorge zu einem fest installierten Baustein der Stärkung und Weiterbildung von Polizeibeamtinnen und -beamten ausbauen. Auf diesem Weg kann die Alltagsreflexion in Zukunft eine wertvolle Stütze für mehr Selbstfürsorge und Gesundheit der einzelnen Polizistinnen und Polizisten werden. KF (Stand 24.02.2023)
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