Gewaltambulanz hilft bei der Beweissicherung
Die Untersuchungen laufen nach bestimmten Vorgaben und Standards ab. Nach einem Gespräch zum Geschehenen wird zunächst der gesamte Körper des Opfers untersucht. „Wir konzentrieren uns dabei nicht nur auf die offensichtlich betroffenen Bereiche, sondern begutachten die Person von Kopf bis Fuß – so auch die Kopfhaut, die Mundhöhle, den Bereich hinter den Ohren oder das Gesäß“, so Yen. Alle Verletzungen werden nach bestimmten Maßgaben fotografiert. Denn um Fotos später als Beweismaterial nutzen zu können, muss immer jeweils eine Übersichts- und eine Nahaufnahme angefertigt werden. Mindestens eine der Detailaufnahmen muss dabei mit einem Maßstab versehen werden, damit man die genaue Größe der Verletzung erkennen kann. Die häufigsten Verletzungen sind Blutergüsse, die durch stumpfe Gewalteinwirkung wie Schläge oder Tritte entstanden sind oder auch Würgemale am Hals. „Bei sexueller Gewalt kommen oft noch Wunden im Genitalbereich hinzu, aber auch Verletzungen, die durch festes Zupacken oder Festhalten entstanden sind, etwa an den Handgelenken. Bei Opfern von körperlichen Auseinandersetzungen sehen wir auch öfter Stichverletzungen“, erklärt die Rechtsmedizinerin. Neben den Verletzungen werden Körper und Kleidung des Opfers auch auf weitere Spuren untersucht. Das können beispielsweise Haare, Schmutz oder auch Spermaspuren sein. Bei Sexualdelikten werden außerdem verschiedene Abstriche genommen. „Bei uns sind auch DNA-Analysen oder toxikologische Untersuchungen möglich. Letzteres kommt etwa in Frage, wenn jemandem K.O.-Tropfen verabreicht wurden. Aber auch in solch einem Fall ist es enorm wichtig, dass sich die Person schnell mit uns in Verbindung setzt, weil viele Substanzen nur kurze Zeit nachgewiesen werden können“, betont Yen.
Gewaltambulanzen in Deutschland:
München: Tel. 089 2180 73011 Heidelberg: Tel. 0152 5464 8393 Düsseldorf: Tel. 0211 81 0 6000 Hannover: Tel. 0511 532 5533 Hamburg: Tel. 040 7410 52127
Verdächtige entlasten
In der Regel werden die gesicherten Spuren dann ein Jahr lang im Institut aufbewahrt, Fotos und Berichte werden auf unbestimmte Zeit archiviert. In dieser Zeit kann sich der Betroffene überlegen, Anzeige zu erstatten. Er kann jederzeit auf sein Material zurückgreifen. „Häufig läuft es so ab, dass sich der Anwalt eines Opfers irgendwann bei uns meldet und die Unterlagen anfordert“, erklärt Kathrin Yen. Aber nicht nur Opfer von Gewalt können sich an die Ambulanz wenden. Auch Tatverdächtige können sich dort untersuchen lassen und bei Gericht gegebenenfalls von einem Tatvorwurf freigesprochen werden. „Wir sind keine klassische Opferhilfeeinrichtung, sondern haben eine neutrale Stellung. Es geht darum, Fakten festzuhalten und zu klären, wie sich etwas zugetragen hat. Und eine Untersuchung kann einen Tatverdächtigen eben auch entlasten“, so Kathrin Yen.
Nicht duschen, nicht umziehen
Wenn man Opfer einer Gewalttat wird, ist es wichtig, sich möglichst schnell an die Gewaltambulanz oder die Polizei zu wenden, damit Verletzungen festgehalten und vorhandene Spuren gesichert werden können. „Wir sind 24 Stunden erreichbar, ein kurzer Anruf genügt. Auch wenn es den Opfern verständlicherweise schwerfällt: Sie sollten sich nach der Tat keinesfalls waschen oder duschen und nicht die Kleidung wechseln, wenn möglich auch nichts trinken und nicht zur Toilette gehen. Sonst geht wichtiges Beweismaterial verloren“, betont Professor Yen. Die Experten und Expertinnen vor Ort versuchen, den Aufenthalt in der Gewaltambulanz für das Opfer so angenehm wie möglich zu gestalten. Damit dies gelingt, sind vorab einige Informationen nötig, die man am besten vorher telefonisch durchgibt. „Wenn wir vorab wissen, worum es geht, können wir uns besser darauf einstellen und die Person direkt an den richtigen Ort schicken. Ein Vergewaltigungsopfer wird etwa direkt in der Gynäkologie durch Rechtsmediziner und Gynäkologen gemeinsam medizinisch und forensisch untersucht. Man muss die Untersuchung dann nur einmal über sich ergehen lassen – und nicht zweimal.“ Pro Jahr werden in der Gewaltambulanz etwa 250 Untersuchungen durchgeführt – Tendenz steigend. „Wir gehen davon aus, dass wir bald 400 Fälle oder mehr im Jahr bearbeiten werden“, ist sich Kathrin Yen sicher.
SW (28.03.2014)
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