So werden Menschen in Deutschland ausgebeutet
Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2022
Polizei und Zoll sind Menschenhändlern auf der Spur
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Das Bundeslagebild „Menschenhandel und Ausbeutung“ beschreibt die aktuellen Erkenntnisse zur Lage und Entwicklung in diesem Bereich der Kriminalität in Deutschland. Die Täter nutzen Notlagen, prekäre Lebensumstände oder die Arglosigkeit ihrer Opfer aus, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Physische und psychische Gewalt spielen dabei eine große Rolle.
Zur Prostitution gezwungen
In Osnabrück ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen drei Männer wegen des Verdachts des Menschenhandels, des Einschleusens von Ausländern und der Zwangsarbeit. Die Verdächtigen sollen Menschen aus der Republik Moldau mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt haben. Hier wurden sie mit falschen Papieren ausgestattet, um im Niedriglohnbereich zu arbeiten. Ihr Lohn wurde ihnen dann abgenommen. Außerdem seien sie zum Betteln gezwungen worden. In der Region Rheinhessen-Nahe versuchte eine Prostituierte, die in einem Bordell arbeitete, sich umzubringen, weil sie ihre Situation als aussichtslos empfand. Das führte die Mainzer Polizei auf die Spur von zwei Verdächtigen, einem Mann und einer Frau, die mindestens eine Frau nach Rheinhessen gebracht und zur Prostitution gezwungen haben sollen. Diese Fälle stehen exemplarisch dafür, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution auch in Deutschland nach wie vor ein akutes Problem darstellen.
Loverboy-Methode bei der Kontaktaufnahme
Laut dem Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2022, dass im November 2023 vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht wurde, hat sich die Gesamtzahl der Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Menschenhandels und der Ausbeutung im Berichtsjahr kaum verändert. 505 Verfahren wurden von den Polizeibehörden von Bund und Ländern sowie dem Zoll abgeschlossen, 2021 waren es 510. Deutlich zugenommen (mit 346 Verfahren (plus 18,9 Prozent)) haben jedoch Fälle des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Die klassische Bar-, Bordell- und Straßenprostitution verschiebt sich allerdings mehr und mehr in Richtung Wohnungsprostitution sowie Haus- und Hotelbesuche. Die meisten Opfer von Zwangsprostitution kommen aus (Ost-)Europa. Doch immer häufiger stellen die Ermittlungsbehörden eine asiatische Herkunft fest. Hier stechen als Herkunftsländer vor allem China, Thailand und Vietnam heraus. Sowohl die Zahl der Opfer (476 Personen, plus 14,1 Prozent) als auch der Tatverdächtigen (488 Personen, plus 24,8 Prozent) hat sich deutlich erhöht. Immer noch spielt mit knapp 20 Prozent die sogenannte Loverboy-Methode eine große Rolle bei der Kontaktaufnahme der Täter zu den Opfern. Hierbei werden die zumeist jungen Frauen unter Vorspiegelung einer Liebesbeziehung in ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis gebracht, um sie in der Folge an die Prostitution heranzuführen und finanziell auszubeuten. Auch Soziale Medien oder Messenger-Dienste sowie Model- oder Künstleragenturen werden von den Tätern bei der Kontaktaufnahme zu den Opfern genutzt.
Um den Lohn betrogen
Auch im Bereich der Arbeitsausbeutung gab es eine deutliche Zunahme (plus 21,4 Prozent) der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren. Mit 1.019 Opfern versechsfachte sich deren Zahl im Vergleich zu 2021 (147 Opfer; plus 593,2 Prozent). Hintergrund ist der Abschluss eines Großverfahrens mit 555 Opfern, dass 2020 in Nordrhein-Westfalen seinen Anfang nahm. Ein hochprofessionelles kriminelles Netzwerk hatte im ganzen Bundesgebiet Firmen im Bereich der Getränkelogistik angemeldet und zahlreiche Mitarbeiter angestellt. Diese waren zuvor unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gebracht worden, um sie dort über komplexe Subunternehmerketten bei Logistikdienstleistern auszubeuten. Die Mitarbeiter mussten überhöhte Zahlungen für Dienstleistungen durch eine Personalleihfirma (Anmeldung bei Behörden), für ihre Unterkunft (Schlafstelle in kleiner Wohnung für mehrere hundert Euro pro Monat) und die Fahrten zu den jeweiligen Arbeitsstellen leisten. Dadurch verblieb ihnen am Ende meist nur ein symbolischer Lohn. Die Opfer stammten hauptsächlich aus der Ukraine, Georgien, der Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Litauen und der Republik Moldau. Ihre Einreise erfolgte überwiegend mit gültigen nationalen Ausweisdokumenten. Delikte der Arbeitsausbeutung fallen seit 2019 auch in die Zuständigkeit der zum Zoll gehörenden Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS).
Geringe Anzeigebereitschaft der Opfer
Einen Abwärtstrend verzeichnet das Bundeslagebild „Menschenhandel und Ausbeutung“ bei Kindern als Opfer. Hier sind die Zahlen nach einem Höchststand 2021 wieder gesunken (171 Verfahren, minus 27,8 Prozent; 270 Opfer, minus 4,6 Prozent). Wenn Minderjährige Opfer von Ausbeutung werden, geht es meist um Delikte des kommerziellen sexuellen Missbrauchs, aber auch um weitere Straftatbestände ohne sexuellen Hintergrund. Hier stehen die Ermittlungsbehörden vor besonderen Herausforderungen. Zum einen erkennen die Kinder oft nicht, dass sie ausgebeutet werden, oder sie empfinden Scham über das Geschehene. Dazu kommt häufig eine physische oder psychische Einschüchterung durch die Tatverdächtigen. Die Opfer sind deshalb oft nicht bereit, Anzeige zu erstatten, weil sie sich vor der Polizei und vor staatlichen Maßnahmen fürchten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich selbst strafbar gemacht haben oder Erfahrungen erlittener psychischer beziehungsweise physischer Gewalt sie davon abhalten. Nach wie vor gehen die Ermittlungsbehörden im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung von einem hohen Dunkelfeld aus. Da die Delikte häufig erst bei einer Kontrolle erfasst werden, sind die Fallzahlen stark abhängig von der Häufigkeit der Kontrollen der Ermittlungsbehörden.
Internationale Polizeikooperation
Die Täter im Bereich des Menschenhandels und der Ausbeutung agieren überwiegend international. Um diese kriminellen Delikte effektiv bekämpfen zu können, muss auch die polizeiliche Zusammenarbeit länderübergreifen organisiert und intensiviert werden. Doch nicht nur bei der Strafverfolgung, sondern auch bei der Justiz sowie bei Nichtregierungsorganisationen und Fachberatungsstellen muss international gedacht und gehandelt werden. Jochen Kopelke, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fordert deshalb mehr Befugnisse für die europäische Polizeibehörde Europol. „Aus unserer Sicht sehr wichtig ist es, dass Europol für eine verbesserte, wirksamere Kriminalitätsbekämpfung, auch mit Blick auf die Bandenkriminalität, operativ tätig werden kann“, sagte der Kopelke dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Europol-Analyse macht deutlich, dass sich Europa polizeilich von seinen Grenzen lösen muss.“ Zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Polizeiarbeit in Europa fordert er die gezielte Förderung von Leuchtturmprojekten wie der transnationalen Deutsch-Französische Einsatzeinheit.
TE (24.05.2024)
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